TUMJA Alumnus Ramsés Grande Fraile

im Gespräch mit Niya Lafazanska und Lukas Hörter
Ramsés Grande Fraile hat an der TUM ein Bachelorstudium in Architektur absolviert und im Jahr 2020 an der London School of Economics and Political Science seinen Master in City Design and Social Science abgeschlossen. Heute arbeitet er in Brüssel als Policy Analyst für die Europäische Kommission. Ramsés war aktives Mitglied der TUMJA #class2017/1. Mit seinem Team muc.me entwickelte er eine Plattform zur unkomplizierten, direkten Bürgerbeteiligung auf lokaler Ebene, die während der Laufzeit des Projekts in vier Münchner Bezirksausschüssen eingesetzt wurde.
Die in diesem Artikel dargelegten Informationen und Ansichten sind die des Autors und spiegeln nicht unbedingt die offizielle Meinung der Institution wider.


Niya Lafazanska studiert aktuell im Master Urbanistik an der TUM und ist Stipendiatin der #class25. Ihr Team voTUM erforscht die grenzüberschreitende Wirkung von Wahlverhalten. Daneben ist Niya in der Taskforce Event aktiv.
Lukas Hörter studiert aktuell im Bachelor Politikwissenschaften an der TUM und ist Stipendiat der #class25. In seinem Team Sprouts forscht er an der Akzeptanz vegetarischer / veganer Ernährung in Betriebskantinen. Daneben engagiert er sich in der Taskforce Recruiting und im Board of Members.
NIYA: Schön, dass wir uns heute treffen können. Möchtest du dich zu Beginn kurz vorstellen?
RAMSES: Sehr gerne. Mein Name ist Ramses Grande und ich würde mich gerne mit vier „C“s vorstellen: Das erste C steht für Canario, ich komme von den kanarischen Inseln und bin auf Teneriffa aufgewachsen. Eines der Themen, das mich von klein auf interessiert hat, ist, wie wir mit unserer Natur umgehen. Teneriffa ist unglaublich reich an Biodiversität, knapp die Hälfte der Insel ist Naturschutzgebiet. Das bedeutet, dass die circa eine Million Einwohner und Touristen „nur“ auf der restlichen Hälfte der Insel leben. Durch unser bisheriges Entwicklungsmodell kommt dieses Gleichgewicht mehr und mehr unter Druck. Ein nachhaltiges Verhältnis von Mensch, Natur und Raum ist etwas, was mich schon immer begeistert hat und worauf ich Antworten entwickeln will.
Das zweite C ist die Stadt, also Cities, und das ist einer der Gründe, warum ich im Bachelor Architektur studiert habe. Mir geht es vor allem darum, dass wir Städte gestalten, in denen Menschen gesund und gerecht leben können.
Die letzten zwei Cs sind die, die mich als Mensch charakterisieren. Sie stehen für Curiosity und Creativity. Die Curiosity ist meine Neugier, die Welt und ihre Zusammenhänge nicht nur räumlich und geographisch, sondern auch sozialwissenschaftlich und politisch zu verstehen und dann auch aktiv und mit Kreativität zu gestalten. Bei der EU-Kommission versuche ich genau das umzusetzen und meine Kreativität und architektonische Perspektive bei der Implementierung der EU-Regional- und Stadtpolitik einzubringen.
LUKAS: Nach deinem Architekturstudium an der TUM hast du Urban Sociology an der London School of Economics and Political Science studiert. Wie kam es dazu, dass du danach in der UN gearbeitet hast und jetzt in der EU-Kommission?
RAMSES: Ich habe während meines Studiums an der TUM mehrmals das Oskar von Miller Forum besucht und war dort bei einem Vortrag von Richard Sennett, einem amerikanischen Stadtsoziologen, der mich sehr begeistert hat. Vor diesem Vortrag hatte ich nicht wirklich viel über ihn gelesen, aber das, was er präsentiert hat, hat mich so inspiriert, dass ich nach dem Vortrag zu ihm gegangen bin und gefragt habe, wie das heißt, was er macht. Darauf hat er geantwortet: „I am an urban sociologist.“ Ich habe ihn gefragt, wo man das studieren kann, und er hat gesagt: „Come to London“.
Ein zweiter ausschlaggebender Punkt war mein Auslandsjahr an der TU Delft. Dort hat der damalige Dekan, Peter Russel, einen Vortrag zur Architektur im globalen Süden mit Fokus auf Subsahara-Afrika gehalten. Das, was mich schockiert hat, war, wie wenig registrierte Architekten es in der äthiopischen Architektenkammer gibt, verglichen mit der wachsenden Größe der äthiopischen Bevölkerung mit aktuell, glaube ich, über 100 Millionen Menschen. Wenn man dann auf die geringe Anzahl an Architekten schaut, ergibt sich das offensichtliche Problem: Wer soll die Häuser entwerfen und bauen, damit die Menschen in gerechten Umständen leben können?
In Europa gibt es auch Wohnknappheit, aber wir haben sehr viele Architekten und die gewöhnlichste Methode, Projekte zu realisieren, ist über Architektur-Wettbewerbe. Das bedeutet nur leider, dass immer nur ein Projekt ausgewählt wird und viele andere Projekte einfach in der Schublade oder auf dem USB-Stick bleiben. Das ist für mich ein totaler Widerspruch. Auf der einen Seite der Welt gibt es so viele Architekten, dass viele Entwürfe gar nicht gebaut werden können, und auf der anderen Seite hat man einen großen Mangel an Architekten und einen enorm hohen Bedarf an Wohnraum. Das hat mich dazu gebracht, nach meinem Bachelor für ein Jahr nach Kenia zu gehen, als Praktikant und Berater bei UN-HABITAT, dem Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen. Dort habe ich mich mit Themen wie „Urban-Rural Linkages“ und „Urban and Territorial Planning for Health“ auseinandergesetzt, also damit, wie wir Städte und Land besser vernetzen können und wie man „gesunde“ Städte für Menschen gestalten kann. Dabei habe ich gemerkt, dass ich durch das Architekturstudium viele relevante Kompetenzen besaß, mir aber auch einige Kompetenzen fehlten, um im Bereich Stadt- und Regionalplanung zu arbeiten. Daher habe ich beschlossen nach London zu gehen, um den Master in „City Design and Social Science“ mit Fokus auf Stadtsoziologie und Regionalpolitik zu studieren.

In London habe ich dann Professor Andrés Rodríguez-Pose kennengelernt, der mit Kollegen der Europäischen Kommission über die Regionalpolitik der EU geforscht hat. Und das hat mich letztendlich motiviert, nach Brüssel umzuziehen, um als „Blue Book Trainee“ bei der EU-Kommission zu arbeiten.
NIYA: Du hast ja nun schon ein paar Leute genannt. Uns würde interessieren, ob du auch immer noch Leute hast, zu denen du hochschaust und von denen du uns gerne erzählen würdest?
RAMSES: Ich habe viele inspirierende Menschen kennengelernt, da ist es wirklich schwierig, sich auf ein paar wenige festzulegen. Jemand, der mich bereits in meinen Anfängen der Architekturausbildung geprägt hat, war Norman Foster. Ich habe auf Teneriffa einen Dokumentarfilm über seine Gebäude und seine Architekturphilosophie gesehen, der mich total inspiriert hat, weil darin die Architektur von einer anderen Seite betrachtet wurde. In diesem Fall war es vom Himmel her, also von oben aus einem kleinen Flugzeug und nicht wie sonst aus der Fußgängerperspektive. Dabei haben sie auch über die Faszination, die Norman Foster für die Luftfahrt hat, gesprochen und darüber, wie er diese Begeisterung auch in die Architektur gebracht hat, zum Beispiel durch einen Fokus auf Technologie in der Konstruktion. So wie Luftfahrt seine Vision für Architektur geprägt hat, habe ich mir dann auch gedacht: „Wie können wir die Natur und die Beziehung zu unserer Umwelt auch über die Architektur besser in Einklang bringen?“.
Die zweite Person ist der chilenische Architekt Alejandro Aravena, den ich 2016 bei der Architekturbiennale in Venedig getroffen habe. Der Titel der Biennale hieß „Reporting from the Front“ und im Prinzip ging es bei seiner Arbeit darum, dass Architektur sozial relevant sein muss. Diesen Aspekt habe ich unter anderem in meiner Bachelorarbeit über partizipatorische Architektur vertieft, aber auch danach in meiner Arbeit an der Europäischen Kommission am „Competence Centre on Participatory and Deliberative Democracy“ des Joint Research Centre.
LUKAS: Wie wir ja schon gehört haben, machst du ziemlich viele Dinge. Was treibt dich an? Was begeistert dich, all diese Dinge zu machen?
RAMSES: Ich habe ja schon von meiner Neugier und Kreativität erzählt. Ich bin begeistert davon, mich mit unserer Umgebung auseinanderzusetzen, sei sie gebaut oder natürlich. Außerdem war ich durch meine Familie immer mit den Gesundheitswissenschaften verbunden. Daher interessiert mich insbesondere die Frage, wie wir Menschen proaktiv gesünder machen können, indem wir gesündere Lebensweisen fördern und somit ein besseres Leben ermöglichen. Von dieser „Philosophie“ stammen meine Motivation und mein Handeln. Am Anfang habe ich mich über die Architektur dieser Frage genähert, dann über regionalpolitische Fragestellungen und letztendlich auch über meine Arbeit in einer öffentlichen Behörde, die dazu beitragen soll, dass EU-Bürger ein gutes Leben führen können.
NIYA: Welche Kompetenzen oder Charaktereigenschaften haben dir neben Creativity und Curiosity am meisten geholfen, an diesem Punkt in deinem Leben anzukommen und an diesen Aufgaben zu arbeiten?
RAMSES: Das ist für mich die Kompetenz, mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenzuarbeiten. Wenn man bei einer internationalen Einrichtung arbeitet, hat man logischerweise nicht nur mit seiner eigenen Kultur und Muttersprache zu tun, sondern arbeitet mit einer breiten Vielfalt an Menschen zusammen. Das erfordert kulturelles Verständnis und eine Offenheit für andere Herangehensweisen, andere Werte und Prioritäten.
Eine andere Kompetenz, die auch damit verbunden ist, ist die Fähigkeit, interdisziplinär und multidisziplinär zu arbeiten. In unserer Generaldirektion gibt es Menschen mit juristischem Hintergrund, es gibt Ökonomen, Sozialwissenschaftler, Politikwissenschaftler, aber auch Architekten, Ingenieure und andere technische Berufe. In unserer Arbeit als Manager von EU-Investitionsprogrammen kommt es gerade auf diese unterschiedlichen Perspektiven an und darauf, wie man sie zum besten Ergebnis kombinieren kann. Das ist etwas, das ich unter anderem auch schon in der TUMJA gelernt habe.
NIYA: Damit hast du schon zu unserer nächsten Frage hingeleitet. Uns würde interessieren, was du aus deiner Zeit bei der TUMJA mitnehmen konntest. War diese Zeit für dich ein ausschlaggebender Punkt in eine berufliche Richtung oder war es eher eine Möglichkeit, auf deinen Interessen aufzubauen?
RAMSES: Ich glaube, es war ein bisschen von beidem.
NIYA: Wie hast du dich damals dazu entschieden teilzunehmen?
RAMSES: Das, was mich an der TUMJA fasziniert hat, war die Möglichkeit, mit Studierenden aus unterschiedlichen Fachdisziplinen zusammenzuarbeiten. Aber auch die Begleitung um das Programm herum fand ich toll. Die Idee, dass man als Teil von einem Jahrgang auch Teil eines größeren Ganzen ist, was auch über Generationen hinweg eine Art „Feeling of Identity“ schafft innerhalb der TUM Community, hat mich auch sehr gereizt.
Während der Zeit in der Akademie fand ich besonders schön zu lernen, wie man interdisziplinär arbeitet und wie man technische Studienrichtungen mit sozial relevanten Fragestellungen verbinden und auch eine sehr praktische Anwendung finden kann. Im Architekturstudium ist die Arbeit schon relativ anwendbar, insofern konnte ich einige Fähigkeiten, die ich während des Studiums gelernt hatte, an der TUMJA praktisch anwenden. Zum Beispiel wie man Design Thinking nicht nur für die Gestaltung von Gebäuden benutzt, sondern auch bei der Entwicklung und Ausgestaltung eines Projekts. Unser Projekt muc.me war eine virtuelle Plattform, auf der Münchner Bürger ihre Ideen zur Verbesserung ihres Stadtteils einreichen konnten.
NIYA: Ich finde das Projekt wirklich sehr beeindruckend. Es haben ja tatsächlich vier Münchner Stadtteile eure Plattform genutzt. Wie war die Zusammenarbeit damals? Warst du zufrieden mit dem, was euer Produkt beigetragen hat?
RAMSES: Das Projekt an sich ist ja schon einige Jahre her, aber es war von Anfang an eine sehr spannende Zusammenarbeit. Gerade zu Beginn hatten wir einen großen analytischen Teil vor uns, um zu verstehen: Wie schaut Bürgerpartizipation aus? Was sind die Möglichkeiten? Was sind die Herausforderungen und wie könnte sie besser gestaltet werden? Danach kam die konzeptionelle Phase, um die Applikation zu gestalten. Hier hatten wir die Technik hinter der Plattform, die vor allem durch die Kollegen mit Informatikhintergrund übernommen wurde. Es ging aber auch um die Umsetzung in die Realität, in der Zusammenarbeit mit den Stadtvierteln. Das war ein extrem bereichernder Moment, weil dadurch die Anwendbarkeit unserer Plattform ans Licht kam. Wir waren super positiv überrascht, dass so viele Stadtgemeinden auf uns zugekommen sind und gesagt haben: „Das ist etwas, wonach wir gesucht haben, und wir hätten Interesse, das zu unterstützen.“ Letztendlich ist unser Projekt aber nur in der Pilotphase geblieben, weil wir uns als Team aus persönlichen Gründen aufgelöst haben. Ein paar von uns sind aus München weggezogen und unsere professionellen Wege haben sich getrennt.
Sehr interessant war, dass die Stadt München während der Covid-Pandemie – zwei Jahre nach unserem Projektabschluss – wieder auf uns zurückgekommen ist, in einer Situation, als physische und politische Auseinandersetzung mit den Bürgern nicht möglich war. Das war ein super spannender Moment, der die Anwendbarkeit unserer Idee in verschiedenen Kontexten bewiesen hat.
Wenn wir jetzt auf unser Projekt zurückschauen, gäbe es Sachen, die wir heute ähnlich gestalten würden, zum Beispiel in Bezug auf Datenschutz. Wir haben damals schon sehr genau darauf geachtet, dass wir mit den Daten der Bürger vorsichtig umgehen, wie wir hier berichtet haben. Aber ein anderes Thema, auf welches wir uns heute noch einmal ganz besonders fokussieren würden, ist, wie sich Desinformation und Misinformation auf die politische Entscheidungsfindung der Bürger auswirken. Hier haben wir in den letzten Jahren vor allem über den Einfluss von sozialen Netzwerken viel gelernt. In das Thema hätten wir vor ein paar Jahren auch schon etwas tiefgründiger eintauchen können. Solche Dinge bekommt man aber erst durch die praktische Erfahrung und Auseinandersetzung mit den Projekten mit. Und das ist auch genau der added value von den Projekten der TUMJA: Die Ideen kommen zur Umsetzung und dadurch entstehen neue Fragen.
NIYA: Das ist eine schöne Darstellung von dem, was sich die TUMJA als Ziel setzt. Uns würde noch interessieren, was du den aktuellen Stipendiaten gerne mitgeben würdest.
RAMSES: Mein Ratschlag wäre, dass ihr durch eure Projekte versucht, einen direkten Kontakt zur Realität zu schaffen, sei es durch die Auseinandersetzung mit Bürgern, politischen Akteuren, der Wissenschaft oder mit der Industrie. Dass ihr versucht, aus den Klassenräumen rauszugehen. Die TUMJA stellt euch sehr viele Hilfsmittel zur Verfügung, um eure Projekte so praxisnah wie möglich zu gestalten.
Mein zweiter Vorschlag wäre, dass man das Potenzial der TUMJA als Community sieht und die Möglichkeiten zum Austausch mit Menschen nutzt, auch über den eigenen Jahrgang hinaus.
LUKAS: Vielen Dank für das interessante Gespräch und dass du dir die Zeit für uns genommen hast!
RAMSES: Sehr gerne.





