TUMJA Alumna Prof. Dr. Nadine Kammerlander

im Gespräch mit Veronika A. Bauer und Frederik Heetmeyer

Nadine Kammerlander ist Lehrstuhlinhaberin des Instituts für Familienunternehmen an der WHU - Otto Beisheim School of Management. Sie studierte von 2002 bis 2007 Physik an der Technischen Universität München und nahm während dieser Zeit an Erfahrene Wege in die Forschung teil, dem Vorgängerprogramm der TUM: Junge Akademie. Sowohl auf beruflicher als auch auf wissenschaftlicher Ebene markierte sie beachtliche Stationen in ihrem Werdegang. Nach ihrem Studium arbeitete sie mehrere Jahre in verschiedenen Ländern als Beraterin bei McKinsey & Company. Daraufhin promovierte sie an der Universität Bamberg im Bereich Familienunternehmen und disruptive Technologien. Nach dem Abschluss ihrer Habilitation an der Universität St. Gallen wurde sie 2015 als Professorin für Familienunternehmen an die WHU berufen.

Prof. Dr. Kammerlander ist eine angesehene Forscherin im Bereich Innovation und unternehmerischem Handeln in Familienunternehmen. Sie ist Mit-Herausgeberin der Zeitschrift Family Business Review  und sitzt im Gutachterboard der Zeitschriften Entrepreneurship Theory and Practice und Journal of Management. Ihre Forschungsergebnisse werden auch in anderen renommierten Zeitschriften veröffentlicht und bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.

Wir bekamen die Chance diese herausragende Wissenschaftlerin zu interviewen und sie zu ihrer Motivation, ihrem Werdegang und ihrer Verbindung zur TUM: Junge Akademie zu befragen.

Veronika Andrea Bauer und Frederik Heetmeyer, beide 1998 geboren, sind Stipendiaten des Jahrgangs 2017/II und gehören zum Team Schaschleak.

Veronika studiert Politikwissenschaften an der TUM School of Governance sowie Informatik im Bachelor an der Ludwig Maximilian Universität, Frederik studiert an der Munich School of Engingeering den Studiengang Ingenieurwissenschaften. 

Veronika ist aktuell die Leiterin der Taskforce Members und Frederik engagiert sich in der Taskforce Marketing der TUM: Junge Akademie. Gemeinsam haben sie das Interview vorbereitet, durchgeführt und redaktionell überarbeitet. 

 

Veronika: Danke, Nadine, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Ich möchte mit einer Frage über dich selbst als Person einsteigen. Was treibt dich denn persönlich an? Anders gesagt, was bringt dich dazu, jeden Tag aufzustehen und ins Büro zu gehen? Was macht dir Spaß, was begeistert dich?

Prof. Kammerlander: Da kann ich zwei Dinge nennen: Auf der einen Seite bin ich ein wahnsinnig neugieriger Mensch. Ich finde es einfach Klasse, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Auf der anderen Seite möchte ich aber auch die Welt ein Stückchen besser machen. Neues zu lernen und im Rahmen der eigenen begrenzten Möglichkeiten die Welt ein Stückchen besser zu machen - Das motiviert mich.

Veronika: Und welche Fähigkeiten haben dir dabei am meisten geholfen?

Prof. Kammerlander: Ich glaube, letztendlich braucht es eine Kombination aus mehreren Fähigkeiten und auch Glück. Nebst meiner sehr guten Ausbildung hat mir sicherlich am meisten geholfen, dass ich immer relativ ausdauernd war. Ich habe nie aufgegeben. Es gibt ja dazu dieses schöne Sprichwort von Sheryl Sandberg[1]: ”Don´t leave before you leave“. Das habe ich in meinem Leben immer gemacht. Die zweite Fähigkeit war, für neue Gelegenheiten offen zu sein und diese dann auch zu nutzen. Mein gesamter Lebensweg war eigentlich durch nichts Geradliniges gekennzeichnet. Das kam immer dadurch, dass ich meine Augen stets offen hielt und die Gelegenheiten am Ende zu mir kamen. Dann habe ich gesagt: “Ja, das klingt spannend. Das klingt toll. Ich traue mich jetzt und mache das auch!”

Veronika: Schön das zu hören. Haben dich denn Vorbilder auf diesem Weg begleitet? Falls ja, wer sind diese?

Prof. Kammerlander: Ich muss tatsächlich sagen: Ich habe keine. Es gibt da mehrere Personen bei denen ich mir sage: “Mensch, diese Person hat wirklich etwas vorangebracht.”. Bei Sheryl Sandberg beispielsweise bewundere ich, wie sie sich in diesem Unternehmen im doch männerdominierten Silicon Valley behauptet hat. Ich bewundere auch viele der frühen Wissenschaftler*innen dafür, wie sie sich damals einfach gegen alle Widerstände gestellt haben und ihren Weg gegangen sind. Aber ich bewundere auch alle Mütter, die sich jeden Tag um Ihre Kinder kümmern, oder die Lehrer, die sich mit den Kindern rumschlagen. Das heißt, ich habe eigentlich kein Vorbild, sondern ich begegne immer wieder Menschen, bei denen ich sage: “Diesen Aspekt finde ich toll!”

Veronika: Was sind denn deine Interessen neben dem Beruf? Was machst du zur Entspannung, wenn du abends nach Hause kommst?

Prof. Kammerlander: Das ist die falsche Frage! Ich habe drei Kinder im Alter von eins bis acht. Das heißt, meine Freizeit besteht darin, dass ich abwechselnd Tiere auf dem Bauernhof, Pippi Langstrumpf oder Harry Potter vorlese. Wenn ich das einmal nicht mache, dann gehe ich gerne mit Freunden wandern. Ich reise auch gerne mit der Familie. Das sind die Momente, wo ich wirklich entspannen kann.

 

Veronika: Wie lässt sich das eigentlich vereinbaren, die drei Kinder und der Beruf als Professorin?

Prof. Kammerlander: Also im Vergleich zu einer Karriere als Angestellte in einem Konzern ist beispielsweise die Vereinbarkeit ein Traum, denn ich kann jeden Tag meist selbst entscheiden, welchen Termin ich wahrnehme. Auf der anderen Seite ist es in der Tat eine Herausforderung. Ich arbeite in Vollzeit, mein Mann arbeitet ebenfalls in Vollzeit. Das heißt, wir mussten eine Armada an unterschiedlichen Maßnahmen aufbauen. Wir haben Kindergärten, Kinderhort und eine Tagesmutter. Auf der anderen Seite stellt sich jeden Tag die Frage, wer wann wohin fahren kann und wie wir das logistisch auf die Reihe bekommen. Wenn man mitten drin steckt, geht es aber doch. Ich würde behaupten, dass meine Kinder relativ viel Zeit mit ihren Eltern verbringen, als sehr viel Qualitätszeit. Insofern lässt sich am Ende doch alles irgendwie vereinbaren.

Veronika: Schön! Wenn du eine Superkraft hättest, welche wäre es?

Prof. Kammerlander: Ich würde mich gerne klonen können, um an mehreren Orten gleichzeitig zu sein – um sowohl bei den Kindern, wie auch bei einem Vortrag in Berlin und auf der Veranstaltung in Stuttgart sein zu können, und überdies noch meine Forschungsarbeit zu schreiben. Das würde mein Leben unglaublich erleichtern. Also, die Kombination von klonen und beamen: das ist es eigentlich.

Veronika: Was hat dich denn dazu bewegt, deinen beruflichen Weg einzuschlagen, und wie ist es dir dabei ergangen? Wenn du zurückblickst, würdest du alles genauso machen? Falls nicht, was würdest du anders machen?

Prof. Kammerlander: Ich würde im Rückblick alles genauso machen. Ich habe mich nach der Schule für ein Physikstudium entschieden, da mir Physik immer Spaß gemacht hatte. Nach dem Physikstudium bin ich in die Beratung gegangen. Das war wirklich einem Zufall geschuldet. Ich hatte damals überhaupt keinen Bezug zu Management, BWL und Unternehmen. Als Physikerin hat man ja zum Teil einen eher negativen Blick darauf und mag diese Seite nicht so gerne. Mir war allerdings schon immer bewusst, dass die Wissenschaft meine Leidenschaft ist. Letzten Endes war die Entscheidung damals auf einer Konferenz gefallen. Ich war dort als Doktorandin und stellte fest, dass im Bereich Familienunternehmen total nette Leute unterwegs sind und dass das irgendwie total Spaß macht. Ich habe damals allen erzählt, dass ich mir das jetzt vorstellen könne.

Einen Monat später fand ich eine E-Mail von der Universität St. Gallen im Postfach. Ich wurde gefragt, ob ich mich nicht auf eine Post-Doc Position bewerben möge. So ging es dann immer weiter. Das heißt, ich habe zwar immer darüber reflektiert, was als nächstes kommen könnte, aber letzten Endes kamen die Gelegenheiten auf mich zu und ich habe sie wahrgenommen.

Veronika: Hast du dich denn auch schon früher für die Wirtschaftswissenschaften interessiert?

Prof. Kammerlander: Also, ich war in der Schule immer gut und mochte fast alle Fächer. Ich habe allerdings zwei Fächer gehasst. Das eine war Sport, das andere Wirtschaft und Recht. Das heißt, es war am Anfang meiner Karriere, zu Schulzeiten wie auch noch im Studium, überhaupt nicht das, was mich interessierte. McKinsey hatten damals Zugriff auf alle e-fellows Stipendiaten und haben mich direkt angeschrieben mit der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Ich hätte mich damals von mir aus niemals bei McKinsey beworben. Das war eher die Neugierde: “Was machen die da eigentlich?”. Und am Anfang habe ich gedacht, das könne sehr spannend aber auch genauso total furchtbar werden. Um ganz ehrlich zu sein, die ersten zwei, drei Wochen des Praktikums waren auch absolut furchtbar. Aber dann hat es irgendwie “Klick” gemacht und Spaß bereitet. Das Interesse an wirtschaftlichen Themen kam tatsächlich erst durch das Praktikum, das ich eigentlich nur gemacht hatte, weil es etwas ganz anderes war.

 

Veronika: Was hättest du gemacht, wenn du nicht in die Forschung und Wissenschaft gegangen wärst?

Prof. Kammerlander: Ich hätte mein eigenes Unternehmen aufgebaut. Also ich weiß zwar nicht genau in welchem Bereich, aber wahrscheinlich in der Medizintechnik – Da kann man was Gutes tun. Und dieser Bereich ist auch intellektuell sehr herausfordernd. Ich glaube, wenn der Tag 48 statt 24 Stunden hätte, würde ich das noch nebenbei machen.

Veronika: Was rätst du jenen, die auch gerne in die Wissenschaft gehen möchten?

Prof. Kammerlander: Die erste Frage ist: “Ist man der Typ dafür, in die Wissenschaft zu gehen?”. Man muss schon wirklich viel einstecken können. Wir kriegen ständig Ablehnungen für Veröffentlichungen. Auf eine Annahme eines Forschungsartikels kommen bestimmt drei bis fünf Ablehnungen. Man muss wirklich für ein Thema brennen. Ansonsten hat man keine Freude daran. Ich mache die meiste Forschungsarbeit zwischen 8 Uhr abends, wenn die Kids im Bett sind, und 1 Uhr bis 2 Uhr nachts, wenn ich ins Bett gehe. Wenn ich mich nicht wirklich intrinsisch dafür interessieren würde, könnte ich mich dazu nicht motivieren.

Außerdem hilft es einfach sehr, sich zu vernetzen, wenn man in der Wissenschaft erfolgreich sein will. Denn in der Wissenschaft überlebt man nur, wenn man die entsprechenden Mentoren hat. Deshalb rate ich allen jungen Leuten, die eine Doktorarbeit schreiben, relativ früh auf Konferenzen zu fahren um dort gesehen zu werden.

Veronika: Wenn du an deine Arbeit als Professorin denkst, was ist deine Lieblingsbeschäftigung?

Prof. Kammerlander: Also meine Lieblingsbeschäftigung ist tatsächlich die Forschung an sich. Also quasi das Diskutieren: “Was machen wir als nächstes Forschungsprojekt? Wie setzen wir es auf? Welche Frage beantworten wir? Wie sieht das Forschungsdesign aus?”. Aber auch das Schreiben der Artikel und das Zusammenfassen der Ergebnisse bereiten mir Freude. Am Zweitliebsten habe ich es, wenn viele Praktiker auf einer Veranstaltung versammelt sind, und ich die Keynote halten und den Praktikern unser Wissen weitervermitteln darf.

Veronika: Und wenn du in deinem Job oder auch in der Universitätslehre eine Sache ändern könntest, was wäre es?

Prof. Kammerlander: Als Professoren sind wir doch sehr oft mit administrativen Tätigkeiten beschäftigt. Das müsste eliminiert werden. Wir müssten uns viel mehr auf die wirklichen Kernthemen Forschung, Lehre und Praxistransfer fokussieren können und viel weniger Papierkram erledigen müssen. Das wäre eine tolle Sache.

Bei der Lehre gibt es verschiedene Entscheidungs-Dilemmata, beispielsweise zwischen Anwesenheit, Nicht-Anwesenheit, verwendeten Methodiken, und Fragen wie “Was bringt jetzt eigentlich internetbasierte Lernen?”, oder “Wie viel machen wir uns mit Videoaufzeichnungen auch kaputt, weil die Studenten nicht mehr in die Vorlesungen kommen sondern nur behaupten, sie würden das ganze angucken, was sie dann noch nicht machen?”. Ich glaube wir brauchen noch viel mehr Erkenntnisse dazu, wie Lehre effektiv stattfinden kann.

Es bräuchte außerdem einfach ein Stückchen mehr Zeit, um Lehrveranstaltungen noch besser vorzubereiten. Es wäre so viel schöner, wenn man mal ein halbes Jahr Zeit hätte, einen Kurs vorzubereiten, zu optimieren, und nach besseren Fallstudien und dergleichen zu suchen.

Veronika: Was waren deine größten Herausforderungen in deinem Werdegang?

Prof. Kammerlander: Also die größten Herausforderungen waren tatsächlich, dass mir immer viele Leute gesagt haben „es geht nicht“. Ich habe irgendwann aufgehört darauf zu hören. Mir haben damals ganz viele Leute gesagt, dass es in Deutschland nie einen Lehrstuhl zu Familienunternehmen geben wird. “Hör auf damit, suche dir ein ordentliches Feld” haben sie gesagt. “Du kannst zu Familienunternehmen nichts in den Top-Journals publizieren”. Ging am Ende natürlich doch. “Nadine, mit drei Kindern kannst du keinen Vollzeitjob machen.” Ich habe so oft gehört, dass dieses oder jenes nicht geht, und am Ende ging es doch. Die größte Herausforderung neben dem Logistischen ist, dass es immer noch nicht einfach ist, als Frau mit Vollzeitarbeit, arbeitenden Ehemann und drei kleinen Kindern Karriere zu machen. Viele sagen „das geht nicht“ statt einmal zu sagen „na ja, das ist ambitioniert, aber schaffst du schon irgendwie!“.

Veronika: Was würdest du sagen, was hat dir besonders geholfen da durchzukommen und deine Karriere einzuschlagen?

Prof. Kammerlander: Tatsächlich das, was ich während des Studiums mitbekommen habe. Einerseits natürlich im Studium an sich, aber andererseits auch über Netzwerke, zum Beispiel dem damaligen Vorgänger der TUM: Junge Akademie. Das hat mir tatsächlich geholfen, auf meinem Weg zu bleiben. Sich bei dem geringen Frauenanteil im Physikstudium durchzuschlagen, immer eine den Top-Studierenden zu sein, hat mir Selbstbewusstsein gegeben. Wir hatten damals tatsächlich noch Kommilitonen, die der Meinung waren, eine Frau könne nicht unter den Top-Studierenden sein. Sich dabei zu behaupten war nicht immer einfach und hat mir das Selbstbewusstsein gegeben zu sagen: “Ich habe es ja schon einmal bewiesen.“ Auf der anderen Seite, wenn man bei den vielen Unternehmensbesuchen und Gastvorträgen immer wieder sieht, dass es auch andere Leute in anderen Situationen geschafft haben, sich durchzukämpfen und am Ende erfolgreich zu sein, dann motiviert es einen auch selbst.

Frederik: Wir möchten nun am Ende auf die TUM: Junge Akademie spezifisch zu sprechen kommen. Man lernt in dem Programm ja eine Menge. Für uns wäre es interessant zu erfahren, welche Kompetenzen dir in deinem späteren Werdegang am meisten geholfen haben, und auf welche Weise sie dir geholfen haben.

Prof. Kammerlander: Da müssen wir jetzt ein wenig ausholen. Ich bin ja eine Alumna der ersten Stunde. Das heißt, ich war schon Teil dieses Netzwerkes, da gab es das noch gar nicht. Ich war ursprünglich mit Beginn meines Studiums in der bayerischen Begabtenförderung, die leider aufgrund eines Gerichtsurteils von ihrer Existenz befreit wurde. Als dieses Stipendium damals abgeschafft wurde, haben sich die Stipendiaten mit Prof. Herrmann und Paul Gerhardt beraten, was man stattdessen machen könne. Es wurde dann das Programm „Erfahrene Wege in die Forschung“ etabliert. Das Programm hat mich von 2004 bis 2007 in meinem Studium begleitet.  Das war noch ein wenig anders aufgesetzt als die TUM: Junge Akademie. Wir haben damals vor allem Exkursionen unternommen. Wir hatten Vorträge und Workshops. Was ich da gelernt habe war vor allem wie wichtig Vernetzung ist. Ich habe so viele Leute kennengelernt, mit unterschiedlichen Profilen mit unterschiedlichen Erfahrungen – das hat mich unglaublich bereichert. Das war eigentlich sogar die größte Bereicherung, die ich damals hatte. Die TUM: Junge Akademie wurde dann 2010 gegründet. Da war ich Doktorandin, nicht an der TUM, sondern an einer anderen Universität. Ich war im ersten Jahrgang als Tutorin in einem Projekt dabei, in dem es um das Thema Entwicklungshilfe ging. Seitdem hat sich das noch einmal stark weiterentwickelt.

Es ist einfach unglaublich, was man in der TUM: Junge Akademie zum Thema Umsetzung lernen kann. Eine Frage, die ihr nicht gestellt habt, die ich aber spannend finde, lautet: “Wovon bräuchte es mehr? Was brauchen unsere Leute mehr?” Ich finde, dass es mehr Leute braucht, die sowohl idealistisch wie auch pragmatisch sind. Also Leute, die Visionen haben und diese auch umsetzen. Das gibt es ganz selten. Viele Leute sind Pragmatiker, die etwas umsetzen, ohne weiterzudenken. Andere wiederum sind Idealisten, die vor sich hinträumen und nichts tun. Und in der TUM: Junge Akademie lernt man, beides miteinander zu kombinieren, eine Vision zu haben, die Welt besser machen zu wollen, Impact zu haben – das dann aber nicht bei einem Konzept zu lassen. Ehrlicherweise hat die TUM: Junge Akademie in der allerersten Stunde noch genau daran gekrankt, als ich Tutorin war. Da hatten wir tolle Konzepte entwickelt, die aber nie umgesetzt wurden. Das ist mittlerweile deutlich verbessert worden. Die Konzepte umzusetzen ist eine wahnsinnig wertvolle Erfahrung, die euch bei allem, was ihr später im Leben machen werdet, extrem weiterhelfen wird. Denn ihr habt dann schon einmal Dinge umgesetzt und seid mit den ganzen praktischen Problemen konfrontiert worden.

Frederik: Waren das die Impulse, die du als Tutorin geben konntest?

Prof. Kammerlander: Mir hat das Programm sehr viel Spaß gemacht, auch als Tutorin. Wir hatten damals ein Thema, das viel zu weit weg war. Das war kein lokales Thema. Wie wir etwas Lokales mit Fahrrädern und dergleichen machen, habe ich eher in meiner Fachschaftsarbeit erlebt. Also wir waren damals der erste Jahrgang, die als Fachschaft draußen in Garching den Campuslauf veranstaltet haben, der später weiterentwickelt wurde.

Da kann ich mich noch gut erinnern, wie wir damals beim AStA saßen und alles besprochen haben, was wir dürfen und was nicht.

Unser damaliges Projekt mit mir als Tutorin war damals wirklich in dem Sinne von “wie können wir eigentlich in Afrika helfen?”. Das war zu weit weg. Aber trotzdem – und ich bin mit einigen von dem Team von damals immer noch in Kontakt – hat das dem Team etwas gebracht. “Wie arbeiten wir eigentlich zusammen?”, “Wie gehen wir das Projekt an?”, “Wie strukturieren wir das?” – das sind wichtige Fragen, mit denen wir konfrontiert waren. Ich hatte ja schon ein paar Jahre Beratung hinter mir. Ich konnte ihnen dazu etwas beibringen – das behaupteten die Studenten, das kommt jetzt nicht von mir. Diese Erfahrung hat mich damals auch noch mal bestärkt: “Es ist es eigentlich toll, es gehört wirklich auch zu mir, Leuten etwas beizubringen, und ich mache das gerne!”. Ich war damals noch in meiner Doktorarbeit und es war nicht klar, dass ich in der universitären Welt auch tatsächlich weitermachen würde. Diese Erfahrungen aus der Jungen Akademie haben mich damals noch einmal darin bestärkt, in die Lehre zu gehen.

Veronika: An welchen Momenten denkst du denn gerne an deine Zeit in der TUM: Junge Akademie bzw. Erfahrene Wege in die Forschung zurück?

Prof. Kammerlander: Also das sind zum einem Dinge wie die Jahreskonferenz bzw. das Symposium. Das Zusammenkommen der Studenten und dieser Austausch sind besonders wertvoll. Persönlich emfand ich das immer auch so. Jetzt habe ich die Seiten gewechselt, aber als Studentin fand ich es immer toll solche Veranstaltungen zu haben, an denen sowohl die Studierenden als auch die Professoren zum Austausch zusammenkamen. In den Vorlesungen ist es dann doch ein sehr einseitiger Wissenstransfer von A nach B. Man hat gar nicht die Möglichkeit, Dinge wirklich zu diskutieren oder auch einmal die eigene Meinung so richtig reinzubringen – außer „Ich weiß was die Antwort auf die Frage ist“. Dieser Austausch auf den unterschiedlichen Ebenen und Perspektiven der Hochschule, vom Professor über den Postdoc und den Doktoranden bis zum Bachelor-Studenten: das fand ich immer klasse.

Fotos: TUMJA

Frederik: Was wünscht du der TUM: Junge Akademie für ihre Zukunft, nachdem du sie miterlebt und auch mit eingeleitet hast? Was sind die wichtigsten Dinge, die in der Zukunft passieren sollten?

Prof. Kammerlander: Also ich finde, die TUM: Junge Akademie befindet sich auf einem hervorragenden Weg. Ich finde auch, dass der Fokus, der gesetzt wird, mit gesellschaftlichem Engagement, ein sehr guter ist.

Going forward gibt es zwei Dinge, die man sich überlegen muss.

Das eine ist das Wachstum der TUM. Ich kenne die Aktivitäten der TUM: Junge Akademie hier im Großraum München. Ich weiß jedoch nicht, was eigentlich in Straubing passiert. Auch weiß ich nicht, was in Heilbronn geplant ist. Gibt es dann Ableger der TUM: Junge Akademie? Läuft dasselbe Programm an allen Standorten? Ich glaube, es gibt da verschiedene Möglichkeiten, die man sich überlegen muss. Schade wäre es, wenn die TUM: Junge Akademie nur auf den Münchner Campus beschränkt wäre.

Das zweite ist – deshalb freue ich mich auch so, heute hier zum Interview zu sein – natürlich dass man aus den Alumni „noch mehr machen kann“, sie noch mehr einbinden und auf ihren Erfahrungen aufbauen kann. Ganz am Anfang startete die TUM: Junge Akademie ja mit sehr starkem Fokus auf den emeritierten Professoren. Ich halte das für eine wertstiftende Kombination, denn als Professor kann man ohnehin nicht von dem, was man über viele Jahre und Jahrzehnte gemacht hat, loslassen, und dann kann man im Rahmen des Programms das Wissen sinnvoll weitergeben.

Aber wir haben mittlerweile auch eine große und vielfältige Alumnischicht, die euch ebenso weiterhelfen kann – im Sinne von beispielsweise: „Ich möchte irgendwie bei IBM einsteigen. Ich möchte in die Wissenschaft gehen – was muss ich dabei beachten?“. Ich glaube, da kann man noch einiges mehr machen, so dass es nicht nur die Projektarbeit ist, also „learning by doing“, sondern dass es tatsächlich ein Netzwerk ist, das man langfristig nutzen kann.

Frederik: Möchtest du noch eines zum Abschluss sagen, das du den Stipendiat*innen auf den Weg geben möchtest?

Prof. Kammerlander: „Nutzt eure Chancen!“, würde ich sagen. Die TUM bietet grandiose Chancen, die TUM: Junge Akademie bietet grandiose Chancen, aber man muss sie auch nutzen. Die Chancen sind eigentlich immer da und man muss nur die Augen offen halten, sie nutzen und in etwas Sinnvolles umwandeln. Und dann klappt es auch mit dem, was man aus dem eigenen Leben machen möchte.

Veronika und Frederik: Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die du dir genommen hast!

Prof. Kammerlander: Sehr gerne!