TUMJA Alumnus Prof. Dr. Viktor Kölzer

im Gespräch mit Judith Paripović und Paul Sieber

Viktor Kölzer ist Alumnus des Vorgängerprogramms der TUM: Junge Akademie im Projekt Erfahrene Wege in die Forschung

Nach seinem Studium an der TUM, Promotion und Facharztausbildung mit verschiedenen Stationen in Deutschland, in den USA, der Schweiz und in England wurde er auf die Professur für computergestützte Bildanalyse in der Pathologie an der Universität Zürich (UZH) berufen.

Aktuell ist er als Professor an der Universität Zürich und als Oberarzt am Universitätsspital Zürich tätig. Zudem ist er Dozent für die Lehre des Bereichs Pathologie im Bachelorprogramm Humanmedizin an der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) und Honorary Senior Lecturer an der University of Oxford.

Judith Paripović (geb. 1993) hat Bauingenieurwesen an der TUM studiert. Sie arbeitet seit 2020 bei Amberg Engineering in Regensdorf bei Zürich und beschäftigt sich mit der Planung und statischen Berechnung von anspruchsvollen Tunnelbauwerken. In der TUMJA engagierte sie sich im Team EvaluaTUM, das sich mit der Evaluierung von Lehre am Beispiel der TUM auseinandersetzte.

Paul Sieber (geb. 1993) hat Bauingenieurwesen an der TUM studiert. Seit 2020 promoviert er am Lehrstuhl für Strukturmechanik und Monitoring an der ETH Zürich. Für seine Promotion beschäftigt er sich mit „Structural Health Monitoring“ mittels Ultraschallwellen. In der TUMJA engagiert er sich im Advisory Board und war während seiner aktiven Zeit Mitglied im Team EvaluaTUM.

Paul: Hallo Viktor, danke, dass wir uns hier treffen. Magst Du Dich kurz vorstellen?

Viktor: Sehr gerne. Mein Name ist Viktor Kölzer. Ich bin ein Alumnus des Programmes für erfahrene Wege in die Forschung und der TUM Medizin. Ich bin nach Abschluss meiner Facharztausbildung und Stationen in Deutschland/den USA (PJ), der Schweiz und in England vor zwei Jahren auf die Professur für computergestützte Bildanalyse in der Pathologie an der Universität Zürich (UZH) berufen worden. Meine fachliche Expertise gilt der Pathologie, einem äußerst interdisziplinären Fachgebiet der Medizin. Neben meiner Professur an der UZH bin ich als Oberarzt am Universitätsspital Zürich tätig. Zudem verantworte ich die Lehre des Fachbereichs Pathologie im Bachelorprogramm Humanmedizin an der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) und bin Honorary Senior Lecturer an der University of Oxford. Somit habe ich vier verschiedene Positionen, die alle miteinander verwandt, gleichzeitig aber auch sehr unterschiedlich sind.

Paul: Wie sieht es aus mit Freizeit neben der Arbeit und was machst Du dann gerne? Also wieviel Zeit bleibt Dir überhaupt?

Viktor: Ich versuche, Berufliches und Privates gut zu trennen, schon weil es sehr wichtig ist, dass man eine Balance herstellt, um produktiv, kreativ und motiviert zu bleiben. Zunächst zu den beruflichen Aspekten: Meine Assistenzprofessur ist sehr fordernd und verlangt eine ständige Weiterqualifikation. Zudem unterstütze ich nachdrücklich, dass alle Mitglieder meiner Arbeitsgruppe ein balanciertes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit herstellen. Mein Team besteht aktuell aus fünf direkt angestellten und fünf weiteren Mitarbeitern und Partnern, die zum Netzwerk externer Kooperationen gehören. Und nun zum Privaten: Ich bin mit einer Ärztin verheiratet und wir haben eine Tochter im Kindergartenalter. Das bedeutet, dass unter der Woche neben der Arbeit wenig Freiraum bleibt, obwohl wir uns konsequent darum bemühen, alle sonstigen Verpflichtungen, also auch die Kinderbetreuung, paritätisch aufzuteilen. Wir bemühen uns die Wochenenden weitgehend frei zu halten, gestalten unsere Freizeit als Familie, immer zeitgerecht mit den Möglichkeiten unserer Kleinen. Wir genießen diese Momente intensiv und empfinden unser Leben in der Schweiz als große Bereicherung.

Judith: Warum bist Du ins Ausland gegangen? Aus fachlichen Gründen?

Viktor: Ich habe relativ früh Auslandserfahrung gesammelt. Als ich 13 war, bin ich mit meinen Eltern für drei Jahre in die USA gegangen und war dort auf der High-School. Das erforderte eine extrem schnelle Umstellung, die mir viel gebracht hat, nicht nur die Erfahrung mit einem anderen Schulsystem, sondern auch die soziale Eingliederung. Das war eine äußerst positive Erfahrung, weil ich gelernt hatte, mich immer stark nach außen zu richten, für Neues offen zu sein, und mich schnell in einem neuen Umfeld einzubringen. Auslandsaufenthalte haben mich auch während des Studiums immer sehr motiviert. In New York am Presbyterian Hospital, am Children‘s Hospital in Boston, am Karolinska Institut in Stockholm und hier in der Schweiz Neues kennenzulernen, habe ich immer als fördernd und sehr inspirierend erlebt. Auch die Überlegung "Wo möchte ich nach dem Studium beruflich starten?" spielte hierbei eine Rolle. Die Schweiz bietet eine hochqualifizierte Ausbildung und eine sehr offene Forschungslandschaft, gute Förderungsmöglichkeiten und ist durch ein sehr kultiviertes und selbstverantwortliches Leben in der Gemeinschaft geprägt. Die Schweiz ist als Lebensraum attraktiv wegen ihrer Vielschichtigkeit, den vier Sprachräumen, dem positiven Miteinander und dem gegenseitigen Respekt.

Paul: Möchtest du Stellung zu Corona nehmen als Wissenschaftler? Was ist die Rolle der Pathologie?

Viktor: Das ist ein sehr konfliktgetriebenes Thema. Wir haben selber zur Erforschung der Pathophysiologie von COVID-19 beigetragen. Aber vielleicht greife ich die Frage "Was macht der Pathologe eigentlich?" zuerst auf. Die Pathologie in der Medizin ist die Disziplin, die verantwortlich ist für die gesamte klinische Gewebediagnostik. "Was ist die richtige Diagnose? Was bedeutet diese Diagnose für den Patienten, und wie kann diese Information dazu beitragen, die richtigen Therapieentscheidungen zu treffen?“ – das sind die zentralen Fragestellungen der Pathologie. Die postmortale Diagnostik (Autopsiewesen) hat eine zentrale Bedeutung für das bessere Verständnis von Krankheitsmechanismen, für die Qualitätskontrolle der klinischen Behandlung, für die Ausbildung der Studierenden und für die Forschung. Die Leitfrage ist „Warum ist ein Mensch gestorben?“. Der behandelnde Arzt kann letztlich nur vom Pathologen erfahren, ob die klinische Diagnose zu Lebzeiten richtig gewesen ist, die Therapie angeschlagen hat oder ob es schädliche Nebeneffekte gab. In der Frühphase der Pandemie war das Verständnis der Erkrankung sehr limitiert, es gab praktisch keine Autopsien von Verstorbenen mit COVID-19. Hier hat die Pathologie einen wichtigen Beitrag geleistet, weil wichtige pathophysiologische Aspekte erst durch die Untersuchung der an COVID-19–Verstorbenen verständlich wurden.

Ein weiterer interdisziplinärer Aspekt zur Bedeutung der Pathologie ist sehr wichtig: die Bedeutung als starkes Technikfeld und zentrale Säule der "personalisierten Medizin" –genomische Untersuchungen mittels Sequenzierung von Tumor-DNA, die Untersuchung der Expression relevanter Biomarker, Bestimmung der Zell- und Gewebemorphologie – das alles sind Untersuchungen, die wir in der Pathologie durchführen, und deren Ergebnisse in die Klinik zurückgeben, damit Menschen mit einer Erkrankung mit den bestmöglichen Therapeutika behandelt werden können.  Der Themenkreis meiner Professur ist die "digitale Pathologie". Wir verfolgen die durchgehende Digitalisierung des Diagnostikprozesses im klinischen Alltag. In nicht allzu ferner Zukunft werden wir in der Pathologie hochauflösende digitale Bilder eines großen Anteils der Gewebeschnitte der klinischen Diagnostik herstellen, und diese nicht mehr unter dem Lichtmikroskop betrachten. Ähnlich zur digitalen Radiologie, werden die Bilddaten dadurch dezentral verfügbar, und können mit Methoden der rechnergestützten Bildanalyse und des maschinellen Lernens analysiert werden, um besser zu verstehen, welche Krankheit vorliegt, aber auch wie sich Krankheiten entwickeln und besser behandelt werden können. Hierdurch kann nicht nur die Reproduzierbarkeit und Qualität der medizinischen Diagnostik weiter verbessert werden, auch die klinischen Prozesse werden beschleunigt und effizienter. Die Digitalisierung ermöglicht zudem eine völlig neuartige integrative Betrachtung der morphologischen Merkmale von Erkrankungen mit epidemiologischen Daten, Textdaten und molekularen Daten und unterstützt damit die wissenschaftliche Weiterentwicklung in der Medizin.

Paul: Sind Blutanalysen auch ein Teil der Analytik?

Viktor: Nein, die Blutanalysen finden in der klinischen Chemie statt. Blutanalysen machen wir nur in ganz vereinzelten Indikationen.

Paul: Warst Du dann schon früh auf dem Weg in die Wissenschaft? Wolltest Du von Anfang an Wissenschaftler werden, oder wäre auch ein Job in der Wirtschaft oder in einer Nicht-Uniklinik was für dich gewesen?

Viktor: Ich habe mich früh auf die akademische Medizin konzentriert, eine Tätigkeit in der Wirtschaft oder außerhalb der Uniklinik habe ich aber grundsätzlich nie ausgeschlossen. Ich habe parallel zu meinem Medizinstudium ab dem sechsten Semester in einem DFG-Graduiertenkolleg an der LMU für klinische Pharmakologie promoviert, und habe hierfür ein Jahr in Vollzeit im Labor und drei weitere Jahre parallel zum Studium in der Gruppe für Tumorimmunologie gearbeitet. Dabei habe ich ein breites Spektrum zellbiologischer und molekularbiologischer Methoden erlernt und eingesetzt: das Ziel war zu erforschen, wie das Immunsystem manipuliert werden kann, um eine effektive anti-tumorale Immunantwort zu erreichen. Dieser Bereich war 2006 noch in der ganz frühen Entwicklung und ein spannendes Thema, das dann für die klinische Medizin sehr bedeutend geworden ist.

Nach Abschluss meines Studiums und der Examina, habe ich mich wegen der hochinteressanten klinischen Ausbildung und der Forschungsmöglichkeiten für die Pathologie entschieden. Der Weg zum Facharzt Pathologie erfordert eine sechsjährige Tätigkeit an einer Klinik. Natürlich kann man parallel dazu noch forschen, wenn die Zeit es erlaubt. Ich bin also mit meiner Promotion grundlagenorientiert gestartet und habe dann die translationalen Themen während meiner Facharztausbildung immer stärker hinzugenommen. Nach Abschluss meiner Facharztausbildung bin ich mit einem Stipendium des Schweizer Nationalfonds nach Oxford an das Wellcome Trust Center for Human Genetics gegangen. Dort habe ich anderthalb Jahre sehr fokussiert in einem weltführenden Institut neue Technologien mit einem Fokus auf medizinische Genomik und digitale Pathologie erarbeitet und erlernt. Parallel dazu habe ich in einem Postgraduiertenstudium in Medical Genomics einen Abschluss gemacht. Dieses Engagement und meine Arbeit dort waren grundlegend für meine jetzige Professur und die fachliche Neuentwicklung. Durch meine Position als Honorary Senior Clinical Lecturer in Oxford bestehen weiterhin enge Kontakte.

Paul: Du warst ja in vielen Ländern und hast da Erfahrungen gesammelt in der Wissenschaft. Was sind die Unterschiede in der Wissenschaft zwischen den Ländern? Du hattest ja erwähnt, dass die Schweiz zum Beispiel sehr freie Forschung bietet.

Viktor: Ich glaube, letztendlich sind die Unterschiede nicht so gravierend. Bei einer Professur hat man ja per Definition eine gewisse "wissenschaftliche Freiheit" zur Entwicklung des eigenen Themas. Das ist, glaube ich, ein Grundverständnis, das in allen Ländern ähnlich ausgeprägt ist, dass eine gewisse Freiheit in der Wissenschaft sein muss, um eigenständig Themen zu entwickeln und neue Ideen zu verfolgen. Dieses Grundparadigma habe ich in allen Ländern so erlebt. Die eigentlichen Unterschiede liegen oft eher im Detail: "Wie sind die Förderungsmöglichkeiten? Wie wird die Bedeutung der Wissenschaft allgemein wahrgenommen?“. Ich glaube in Summe kann ich sagen: All die Länder, in denen ich gelebt habe, also Deutschland, USA, England, die Schweiz sind nach wie vor sehr gute Wissenschaftsstandorte. Der Wissenschaft wird gesellschaftlich ein hoher Wert zugemessen, es gibt gute Möglichkeiten, Finanzierungen einzuholen und als junger Wissenschaftler hat man gute Möglichkeiten sich zu entwickeln. Wichtig ist es ein eigenes Thema zu finden, und auch bei längeren Durststrecken dabei zu bleiben; die Augen offen zu halten und sich proaktiv zu engagieren. Die akademische Medizin ist ein fordernder aber sehr interessanter Bereich und erlaubt eine inhaltliche Verknüpfung der klinischen Tätigkeit und dem Engagement für wissenschaftlicher Fragestellungen.

Paul: Du hattest gemeint, dass für Professoren in all den Ländern die Forschungsfreiheit relativ ähnlich ist. Wie sieht es aus in der Ausbildung, mit dem Doktorat, mit dem PhD? Sind da große Unterschiede, beispielsweise in der Betreuung und der Freiheit?

Viktor: Das ist ein komplexes Thema. Wo in der Medizin wirklich ein Unterschied besteht ist in der Wahrnehmung zwischen klinisch orientierter und wissenschaftlich orientierter Medizin, dem MD und PhD „track“. Es ist in den USA schon lange gang und gäbe in der akademischen Medizin einen MD-PhD abzulegen, und auch die Schweiz hat wie die USA sehr gut etablierte MD-PhD Programme an allen großen Universitäten. In Deutschland ist ein flächendeckendes Angebot für MD-PhD Programme nach wie vor nicht Realität, wobei Programme wie der 2006 an der TUM etablierte PhD-Studiengang Medical Life Science and Technology eine wichtige Pionierrolle einnehmen. Eine kombinierte medizinische und wissenschaftliche Grundlage ist daher häufig eher etwas, das man sich selber erarbeiten muss – mit einer anspruchsvollen Promotion und einer post-doc Zeit nach dem Studium oder der Facharztausbildung, einem Doppelstudium in einem medizinischen und naturwissenschaftlichen Fachgebiet, es gibt viele individuelle Möglichkeiten.

Paul: Gibt es irgendetwas, was Du jungen Leuten im Studium mit auf den Weg geben würdest? Was sie beachten sollten, was sie machen, was sie lassen sollten?

Viktor: Man sollte immer dem folgen, wofür man brennt. Für mich war es die Möglichkeit, früh ins Ausland zu gehen und diese Exposition zu haben. Tolle Möglichkeiten bieten dafür die Förderprogramme. Wir sprechen ja über die TUMJA, "Erfahrene Wege in die Forschung" – sich für solche Programme zu engagieren, dort im Austausch zu sein und auch den Blick über den Tellerrand hinaus zu wagen, das ist wichtig. Wichtig ist es auch sich bewusst zu sein, dass Lebenswege dynamisch und vielfältig sind. Es ergeben sich immer wieder neue Möglichkeiten und Chancen und man kann nicht alles planen.

Judith: Wie ist heute Dein Verhältnis zur TU München?

Viktor: Sie ist meine Alma Mater, hier habe ich die Grundlagen erlernt, eine starke Motivation bekommen und meinen Fokus gefunden.

Paul: Irgendwelche Beziehungen zur TUM?

Viktor: Ja, wir haben einen relativ regen Austausch mit der Pathologie in München und haben uns in einigen gemeinsamen Anträgen für wissenschaftliche Projekte engagiert. Ich habe einige Kollegen und Freunde, die an der TUM sind. Für mich hatte der Abschluss an der TUM eine besondere Gewichtung, da es eine Technische Universität ist. Dieses Spannungsfeld Medizin und Technik ist etwas, das für mich sehr wichtig ist, jetzt befinde ich mich in einem ähnlichen Setting zwischen der UZH, dem USZ und der ETH. Die TUM ist eine der wenigen Standorte in Deutschland, bei dem eine technische Uni auch eine medizinische Fakultät hat. Für die Entwicklung der Medizin, die immer stärker durch Technik geprägt wird, ist dies ein großer Bonus. Das ist etwas, was ich auch Medizinern an der TUM mitgeben möchte: Nutzt diese Chance, an einer Technischen Uni zu sein. Es gibt dort eine hervorragende Lehre und viele Chancen auch mal über das eigene Gebiet hinauszuschauen!